Urteil Bundessozialgericht

Die Operation ist nicht mehr „ultima ratio“

In einem sensationellen Urteil hat das Bundessozialgericht am 22.6.2022 die bisherige Regelung, dass eine Adipositas-OP nur nach einer erfolglosen nicht-operativen Therapie durchgeführt werden darf, gekippt. Bisher war die Auffassung der Krankenkassen, dass die Operation nur als „ultima ratio„, also nur als „letztes Mittel“ durchgeführt werden durfte, wenn alle anderen Therapieoptionen erfolglos waren. Das hatte zur Folge, dass alle anderen Therapieoptionen zunächst für mindestens 6-12 Monate auch durchgeführt worden sein mussten (MMK). Erst wenn dann kein deutlicher Erfolg der Therapie zu erkennen war, wurde die Operation genehmigt.

Jetzt sagt das Bundessozialgericht, dass dieser konservative Behandlungsversuch überflüssig ist, wenn die Operation anderen Behandlungsmethoden überlegen und das Risiko vertretbar ist:
Unter der Berücksichtigung der besonderen Risiken und Folgen eines solchen Eingriff bedeutet ultima ratio, dass die zielgerichtete irreversible Schädigung eines gesunden Organs nur dann als erforderliche Behandlung anzusehen ist, wenn die voraussichtlichen Ergebnisse dieses Eingriffs den voraussichtlichen Ergebnissen anderer Behandlungsoptionen eindeutig überlegen sind. Hierfür ist es nicht zwingend erforderlich, dass sämtliche andere Therapieoptionen zuvor tatsächlich ausgeschöpft sind. Es kommt insbesondere auf die Erfolgsaussichten der nicht-invasiven Therapieoptionen, die voraussichtliche Dauer bis zu einem spürbaren Erfolg, das Ausmaß der Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas und die dadurch bedingte Dringlichkeit der Gewichtsreduktion an.

Wer sich länger mit der Thematik beschäftigt weiß, dass es keine Therapie gibt, die an die Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie heranreicht. Das gilt nicht nur für den Gewichtsverlust, sondern auch für die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 (Zuckerkrankheit), des Schlafapnoesyndroms und des Bluthochdrucks.

Kein MMK mehr?

Bedeutet das, dass wir jetzt kein MMK mehr machen müssen? Leider Nein! Die Mühlen mahlen langsam. Bis sich die neue Rechtsprechung in unserem Alltag durchsetzt, wird noch einige Zeit ins Land gehen. Diese Erkenntnisse müssen sich erst bei den Krankenkassen und dem MD durchsetzen. Auch wird sicherlich diskutiert werden, ob die bisherigen Forschungsarbeiten ausreichen um zu begründen, dass die Operation die Beste zur Verfügung stehende Therapie darstellt. Allerdings wird dieses Urteil helfen, diejenigen zügig zu operieren, bei denen eine ernsthafte Erkrankung (entgleister Diabetes mellitus, drohendes Lungenversagen…) eine schnelle Operation notwendig macht.

Photo by Tingey Injury Law Firm on Unsplash

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