Arztgespräch

Je mehr niedergelassene Hausärzte und Internisten über die Adipositas-Chirurgie wissen, umso eher überweisen sie schwer übergewichtige Patienten an entsprechende Kliniken. Derzeit tun dies nur 17,8 Prozent von 201 Ärzten, die im Rahmen einer bundesweiten Studie des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen der Universitätsmedizin Leipzig befragt wurden. Die Ergebnisse erschienen kürzlich im Fachmagazin „Obesity Surgery“.

Ein Drittel der Befragten findet es „zu einfach“, wenn adipöse Menschen mit Hilfe der Adipositas-Chirurgie abnehmen. 58 Prozent sind der Meinung, dass fehlende Willensstärke das Übergewicht verursacht. Obwohl 56 Prozent glauben, dass eine Operation eine nützliche Methode zur Gewichtsreduktion ist, empfehlen sie 48 Prozent nur manchmal, 34 Prozent kaum bis gar nicht, und nur knapp 18 Prozent überweisen ihre Patienten

Vorurteile bei Ärzten beeinflussen Adipositas-Therapie
Vorurteile bei Ärzten beeinflussen Adipositas-Therapie

zum Chirurgen. Letztere verfügten über das größte Wissen zur Adipositas-Chirurgie. Je stärker Ärzte glauben, dass Adipositas eine selbstverschuldete Erkrankung ist, umso weniger empfehlen sie Adipositas-Operationen oder stellen entsprechende Überweisungen aus.

Dieses von persönlichen Kenntnissen und Haltungen abhängige ärztliche Verhalten entspricht nicht den Behandlungsleitlinien für krankhaftes Übergewicht. Gemäß dieser Leitlinien kommt eine Adipositas-Operation für Patienten in Frage, die einen Body-Mass-Index (BMI) von 40 oder mehr haben, und die in Abnehm-Programmen nicht ausreichend Gewicht abbauen konnten. Sofern bei adipösen Patienten bereits Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorliegen, kann ein Eingriff auch bereits ab einem BMI von 35 erwogen werden.

Bei Adipositas- oder bariatrischen Operationen werden der Magen und die verdauungsaktive Darmpassage verkleinert. Sie bedeuten für die Betroffenen eine umfassende Vorbereitung und Nachsorge sowie eine lebenslange Umstellung der Ernährung. Bisher entscheiden die Krankenkassen in jedem Einzelfall, ob die Kosten für den Eingriff übernommen werden. In die IFB Adipositasambulanz am Universitätsklinikum Leipzig kommen viele Patienten, die über viele Jahre Diäten versucht und diverse Therapien durchlaufen haben, ohne langfristig erfolgreich zu sein. Für sie ist ein Adipositas-Eingriff oftmals die letzte Chance, das Übergewicht sowie die Adipositas-assoziierten Erkrankungen zu lindern.

Obwohl die bariatrische Chirurgie derzeit die erfolgreichste Therapie bei ausgeprägter Adipositas ist, werden in Deutschland vergleichsweise wenige Operationen durchgeführt. Während es in Schweden 2013 bei einer Bevölkerung von rund 9,6 Millionen 7.473 bariatrische Operationen gab, waren es in Österreich bei 8,47 Millionen Einwohnern 2.354 Eingriffe und in Deutschland bei 80,6 Millionen Menschen nur 7.126 solcher Operationen. Die Psychologin Franziska Jung leitete die Studie und betont, dass „Ärzte in Deutschland mehr Wissen zu den vielfältigen Ursachen der Adipositas und zu den Therapien benötigen. Nur so kann die vorherrschende ablehnende und stigmatisierende Haltung abgebaut werden.“

In Kooperation mit dem Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig führten die Wissenschaftler um Dr. Claudia Luck-Sikorski Studien zur stigmatisierenden Haltung der Bevölkerung und von Klinikpersonal gegenüber Menschen mit Adipositas durch. „Ernüchternd ist, dass auch in medizinischen Berufsgruppen Patienten mit Adipositas stigmatisiert werden. Die jüngste Studie mit niedergelassenen Ärzten zeigt nun erstmals, wie stark dies die medizinische Versorgung beeinträchtigt“, unterstreicht Luck-Sikorski.

Für einen besseren Umgang mit adipösen Patienten und eine adäquatere Beurteilung ihres Behandlungsbedarfs entwickelten die Wissenschaftlerin und ihr Team den Leitfaden „5A Adipositas-Management“ für niedergelassene Ärzte. Die Broschüre steht im Internet unter www.ifb-adipositas.de als Download zur Verfügung.

Originaltitel der Veröffentlichung in „Obesity Surgery: „Stigma and Knowledge as Determinants of Recommendation and Referral Behavior of General Practitioners and Internists.“ DOI 10.1007/s11695-016-2104-5

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller
Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health
Telefon: +49 341 97-15406
E-Mail: steffi.riedel-heller@medizin.uni-leipzig.de
Web: http://www.uni-leipzig.de/~sasm/

Diese Pressemitteilung wurde übernommen von https://idw-online.de/de/news647352

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