Konventionelle Behandlung und Diäten kaum Erfolg versprechend

München, den 30.04.2015 – Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas ist ein gesundheitspolitisch hoch relevantes Thema. Eine Untersuchung im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kompetenznetzes Adipositas hat aktuelle Forschungsbefunde rund um die Behandlungsmethoden für Kinder und Jugendliche mit Adipositas zusammengefasst und einer qualitativen Analyse unterzogen – mit interessantem Ergebnis: Im Rahmen der untersuchten Lebensstiltherapien, die über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren angelegt waren, konnte eine Gewichtsnormalisierung von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas nur sehr beschränkt bis gar nicht erreicht werden.

Viele Kinder und Jugendliche mit Übergewicht versuchen verzweifelt, zu Hause und in Eigenregie, abzunehmen. Sie beginnen Diäten, die sie oft nicht lange durchhalten. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich aus einer Diät heraus Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht entwickeln können. Kontrollierte Therapieprogramme, die das Gewicht innerhalb eines längeren Zeitraums in den Normalbereich bringen können, gewinnen deshalb zunehmend an Bedeutung, jedoch erzielen sie nur in wenigen Fällen den erwünschten Erfolg. Das konnte nun eine im Rahmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderte Untersuchung des Kompetenznetzes Adipositas in Zusammenarbeit mit der Universität Duisburg-Essen herausfinden. Dazu wurden 48 aktuelle Studien zur Wirksamkeit von Lebensstilprogrammen bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas analysiert.

Nach 12 Monaten wurden für eine lebensstilbasierte Gewichtsreduktionsbehandlung Gewichtsverluste zwischen 0,05 und 0,39 BMI-SDS-Einheiten („Standard Deviation Score“ des Body-Mass-Index) beobachtet. Berücksichtigt man die Zunahme der Größe sowie das Älterwerden der Kinder und Jugendlichen, so würde eine Abnahme von 0,05 BMISDS-Einheiten bei einem 15-jährigen Mädchen (Ausgangsgewicht: 102 kg, Körpergröße: 170 cm) eine Gewichtszunahme von 1,5 kg (Körpergröße: 171 cm, Alter: 16 Jahre) bedeuten. Sollte eine BMI-SDS-Reduktion um 0,39 Einheiten erzielt werden, so müsste das Mädchen 6,8 kg innerhalb eines Jahres abnehmen. Im Falle eines 8-jährigen Jungen (Ausgangsgewicht: 40 kg, Körpergröße: 130 cm) würde sich eine BMI-SDS-Reduktion um 0,05 Einheiten in einer Gewichtszunahme von 6,3 kg, eine Reduktion um 0,39 Einheiten in einer Gewichtszunahme von 2,6 kg (Körpergröße: 136,4 cm, Alter: 9 Jahre) niederschlagen.

Bei der Ergebnisbeurteilung wurden auch die Abbruchraten berücksichtigt: in 66 Prozent der Fälle haben mindestens 10 Prozent der Teilnehmer die Behandlung frühzeitig abgebrochen, in 22 Prozent der Studien betrug die Abbruchrate mindestens 25 Prozent.

Hohe Frustrationsraten bei Therapien

Johannes Hebebrand, Vorstandsmitglied im Kompetenznetz Adipositas und neben der Psychologin Yvonne Mühlig, Initiator der Studie, weiß über die beschränkte Wirksamkeit der gängigen Behandlungsprogramme: „Wichtig ist es, erst einmal kritisch den Aufwand und Nutzen lebensstilbasierter Behandlungsmethoden gegenüberzustellen und dann gemeinsam mit den betroffenen Familien zu überlegen, ob ein solches Programm in der jeweiligen Lebenssituation des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen in Frage kommt“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater. Behandlungssuchende Familien müssten zudem über die begrenzte Wirksamkeit sowie potenzielle Nebenwirkungen der gängigen Gewichtsreduktionsbehandlungen aufgeklärt werden. Gründe für einen frühzeitigen Therapieabbruch seien die kurzfristig oftmals geringen Erfolgserlebnisse, die in Relation zu den erforderlichen Investitionen und Anstrengungen für Kind und Eltern über einen längeren Zeitraum hinweg erreicht werden. Es bestehe zudem die Gefahr, dass eine mangelnde Gewichtsabnahme als persönliches Versagen wahrgenommen wird, erläutert Hebebrand. Die meisten Kinder und Jugendlichen mit starkem Übergewicht, die an solchen Gewichtsreduktionsprogrammen teilnehmen, würden zwar einige Kilogramm verlieren, diese Gewichtsabnahme reiche aber in aller Regel nicht aus, um das so genannte Normalgewicht zu erreichen. „In der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas sollte der Fokus nicht nur auf die kurzfristige Gewichtsreduktion, sondern vermehrt auf die Förderung eines gesunden Lebensstils zur Steigerung der körperlichen und seelischen Gesundheit gerichtet werden“, so Hebebrand.

Ernährungs- und Bewegungsmuster umstellen

„Die Ermittlung der Faktoren, die eine Vorhersage auf einen bestimmten Therapieerfolg zulassen, sollten einen Schwerpunkt der zukünftigen Forschung bilden“, fordert der Psychiater. Bevor pauschal auf lebensstilbasierte Behandlungsmethoden zurückgegriffen wird, sollte erst die Frage geklärt sein, wie man Kinder und Jugendliche mit Adipositas und starkem Übergewicht dazu bringt, ihre Ernährungs- und Bewegungsmuster nicht nur kurzfristig, sondern auch dauerhaft so zu gestalten, dass sie ein gesundes Leben führen können. Dabei müsse nicht notwendigerweise eine Gewichtsabnahme im Vordergrund stehen.

Das Kompetenznetz Adipositas

Weitere Informationen finden Sie unter www.kompetenznetz-adipositas.de.

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